Angebot für unterschiedliche Neigungen (wlz-fz, 29.05.2013)
G8 und G9 laufen parallel: Direktor Stefan Hermes zum Schulversuch an der Frankenberger Edertalschule
G8 oder G9? Die Edertalschule hat sich entschlossen, zunächst zweigleisig zu fahren. Das Gymnasium nimmt an einem Schulversuch teil. Schulleiter Stefan Hermes glaubt,dass das Abitur nach acht Jahren eine Zukunft in Frankenberg hat. Gerade schwarzgelbe Landesregierungen waren begeistert: Ein Jahr schneller sollten Gymnasiasten aus der Schule kommen, in fast allen westdeutschen Bundesländern wurde eingeführt, was im Osten seit DDR-Zeiten bestand: die achtjährige Gymnasialzeit, kurz G8. Weniger begeistert waren Schüler und Eltern: Die Klagen über Lernstress, Leistungsdruck, einen überfrachteten Lehrplan und den vermehrten Nachmittagsunterricht nahmen zu. Vereine beschwerten sich, die Jugendlichen hätten keine Zeit mehr für Sport oder Jugendfeuerwehr. Psychologen monierten, ausgerechnet in der Mittelstufe werde der Stoff komprimiert, also in der Phase, in der die Jugendlichen in der Pubertät stecken. Vom „Turbo-Abi“ ist die Rede. Inzwischen ist die hessische Landesregierung zurückgerudert, sie hat den Gymnasien die Wahlmöglichkeit gegeben: Sie sollen entscheiden, ob sie weiter das G8 praktizieren oder zu G9 zurückkehren. Den Mittelweg geht die Edertalschule mit einem Schulversuch. Warum, erläutert der Direktor.
Herr Hermes, warum haben Sie sich für den Parallelbetrieb G8 und G9 entschieden?
Mehrheitlich wird derzeit G9 gewünscht. Dennoch gibt es auch Schüler und Eltern, die an G8 Interesse haben. Unser Ziel ist es, ein breites Angebot für die unterschiedlichen Fähigkeiten und Neigungen vorzuhalten, das erscheint uns mit dem Schulversuch am besten umsetzbar.
Wann fangen Sie damit an?
Der Schulversuch ist für das kommende Schuljahr beantragt.
Wie wollen Sie das organisatorisch stemmen, müssen Sie dafür zwei Sätze Lernmaterial vorhalten?
Wir haben ein Konzept entwickelt, das uns sowohl pädagogisch als auch organisatorisch sinnvoll erscheint. Es werden sicher zusätzliche Bücher benötigt, zwei Sätze Lehrmaterial werden jedoch nicht nötig sein.
Arbeiten Sie bei der Umsetzung mit den anderen zehn Schulen in Hessen zusammen, die am Modellversuch teilnehmen, und wenn ja, wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Derzeit noch nicht. Die Genehmigungen stehen noch aus. Eine Zusammenarbeit oder ein Erfahrungsaustausch mit den Schulen, die am Schulversuch teilnehmen werden, wäre wünschenswert.
Werden Schüler der G8- und G9-Züge in manchen Fächern auch gemeinsam unterrichtet?
Ja, zum Beispiel in Religion und Ethik, denkbar auch im Wahlunterricht.
Wie wird sichergestellt, dass Schüler aus G8 und aus G9 tatsächlich auf demselben Leistungsniveau in die gemeinsame Kursstufe wechseln?
Wir orientieren uns an den Kerncurricula, entwickeln zudem Fachcurricula. Da Erfahrungen sowohl mit G8 als auch mit G9 vorliegen und des Weiteren die Edertalschule Erfahrung mit sogenannten Turbo-Klassen hat, können wir sicherstellen, dass alle Schüler die Grundlagen zum erfolgreichen Durchlauf der Oberstufe erlangen werden.
Wie viele Schüler wollen G8 weitermachen? Hat das Modell in den nächsten Jahren überhaupt noch eine Zukunft in Frankenberg?
Im kommenden Schuljahr wird die G8-Klasse 17 Schüler umfassen, und das in der zahlenmäßig kleinsten Jahrgangsstufe. Wir halten das Modell unbedingt für zukunftsfähig. Die kommenden Jahrgänge werden insgesamt wieder größer sein als der jetzige Jahrgang 6. Nicht zuletzt gehen wir davon aus, dass wir mindestens wieder so viele G8-Interessenten haben werden wie im aktuellen Jahrgang 6. Es liegt jedoch auch an uns, durch eine gelungene Konzeption für den ersten „Schulversuchs-Jahrgang“ Interesse zu wecken und zu erhalten.
Angesichts der Landtagswahl im September kann es sein, dass es eine neue Regierung gibt, die eigene Akzente bei der Schulpolitik setzen will, das G8 sehen SPD und Grüne skeptisch. Haben Sie Angst, jetzt in ein System zu investieren, das im Herbst wieder in Frage gestellt werden könnte?
Nein, dem sehen wir gelassen entgegen.
Halten Sie es für gut, wenn es generell keine Sitzenbleibermehr gibt, wie aktuell von der neuen rot-grünen Regierung in Niedersachsen gefordert?
Meine persönliche Meinung ist Folgende: Wenn gewährleistet wäre, dass die durch Aufhebung der Sitzenbleiber-Regelung frei werdenden Mittel den Schulen
in Form von Ressourcen für Unterstützungs- und Förderangebote zukommen, fände ich als Schulleiter das Anliegen durchaus bedenkenswert. In Einzelfällen
kann die Wiederholung einer Jahrgangsstufe allerdings sinnvoll sein, zum Beispiel bei längerer Krankheit oder zeitweiliger Schulunlust. Zu fragen ist zudem grundsätzlich,wie die Aufhebung der Sitzenbleiber-Regelung sich auf das mehrgliedrige Schulsystem auswirken würde. Vor allem würde ich mir wünschen, dass auf eine
Schnellschuss-Lösung verzichtet wird. Diese Ausführungen sind wie gesagt persönlich und stehen nicht stellvertretend für die ganze Schulleitung.