Geschichte haben sie nicht geschrieben. Dafür aber einen spannenden Teil deutsch-deutscher Geschichte erfahren. "Weg zur Freiheit" lautete ein zweigeteilter Workshop für die rund 150 Schüler der Klasse 13 des Frankenberger Gymnasiums Edertalschule. Im Fokus stand die ehemalige Deutsche Demokratische Republik. Im ersten Teil des Workshops diskutierten die Gruppen insbesondere "sozialistische Erziehungsideale und den Alltag in der DDR", in Teil zwei wurden die "Friedliche Revolution und Deutsche Einheit" thematisiert.
"Unsere angehenden Abiturienten sind alle erst in diesem Jahrtausend geboren. Sie haben 40 Jahre DDR und den 9. November 1989, den Tag, an dem sich die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland zu öffnen begann, nicht erlebt", beschrieb Oberstudienrat Burkhard Wick, der Fachvorsteher Geschichte an der Edertalschule, den Hintergrund des Workshops. Es sei wichtig, "dass die Schüler ihr Wissen über die DDR, das politische System des Staates in Form der Diktatur und auch über die Lebensbedingungen der Menschen sowie die Wiedervereinigung erweitern", sagte Wick. Dazu habe der Workshop erfreulicherweise einen "differenzierten Zugang" eröffnet.
Die Referenten des Workshops waren Kristin Kallweit und Alesch Mühlbauer von der Deutschen Gesellschaft in Berlin, ein überparteilicher Bürgerverein zur Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Deutschland und Europa. Kallweit und Mühlbauer präsentierten ihren jungen Zuhörern "Geschichte zum Anfassen" - thematisiert wurden unter anderem der Aufbau der DDR und das Bildungssystem in dem UdSSR-orientierten Staat, aber auch die Zersetzung durch das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi), die Bespitzelungen und Repressalien, die Militarisierung der Gesellschaft, die Mangelwirtschaft und die letzten Jahre der DDR bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989. Auch die Finanzen der DDR wurden beleuchtet: "Die DDR war in den 1960er-Jahren schon pleite", sagte Kristin Kallweit. Das Land habe sich schon damals nur durch "Kredite aus der Bundesrepublik" finanzieren können, das Ende des Systems sei insofern vorhersehbar gewesen.
Die Aussage der Referenten: "Die DDR hatte in ihrer Besatzungszone einen Staat etabliert, der ein sozialistisches Menschenbild und Gesellschaftssystem beinhaltete." Als Gründe für den Niedergang der DDR und die Wiedervereinigung nannten sie vor allem die wirtschaftlichen Probleme des Staates, die weltpolitische Lage mit einer Sowjetunion unter Gorbatschow, die die DDR nicht mehr bedingungslos unterstützte, und auch die politischen Montags-Demonstrationen in Leipzig und anderen Städten in der DDR. "Die DDR durfte auf dem Weltmarkt nicht einkaufen, es fehlten Ersatzteile, die Rahmenbedingungen haben nicht gestimmt, die Wirtschaft in der DDR stand oft längere Zeit still", beschrieben Kallweit und Mühlbauer die damalige Lage. "Davon hat sich der Staat nie erholt." Zudem habe es eine "Reformunwilligkeit" unter Honecker gegeben.
Kallweit und Mühlbauer sprachen mit den Schülern nicht nur über Staatssicherheit, sondern auch über Jugend und Kindheit in der DDR, über Bildung und Rechte und das Ende jener Zeit, die letztlich in einer "friedlichen Revolution" mündete. Die Schüler waren beeindruckt von den Vorträgen, denen sie zunächst gebannt lauschten und über die sie anschließend intensiv diskutierten. Illustriert wurde der Workshop zudem mit anschaulichen und spannenden Jugendzeitungen aus der früheren DDR. "Wir fanden den Workshop sehr informativ und aufschlussreich. Es war sehr interessant, dass wir uns DDR-Zeitschriften im Original ansehen konnten und auch während des Workshops nach unserer Meinung zu den Methoden und Sichtweisen in der DDR gefragt wurden", kommentierten Ben Heck und Lea Hannatschek die Schulveranstaltung. (mjx)
Hintergrund
Auf außerschulische Lernorte wird am Frankenberger Gymnasium Edertalschule schon seit Jahren großer Wert gelegt. So stehen in der Regel KZ-Besuche beispielsweise der 10. Klasse zur Gedenkstätte Mittelbau-Dora, wo zwischen 1943 und 1945 mehr als 60.000 Menschen (jeder dritte von ihnen starb) aus fast allen Ländern Europas Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie leisten mussten, auf dem Programm. Aber auch politische Bildungsfahrten der 12. Klasse nach Berlin mit Besuch des Bundestags und des Zentralen Untersuchungsgefängnisses der Staatssicherheit in Berlin Hohenschönhausen sowie Fahrten der Klasse 13 nach Bonn mit Besuch der Dauerausstellung zur deutsch-deutschen Geschichte im "Haus der Geschichte". Weil diese Informtionsfahrten wegen der Corona-Pandemie seit zwei Jahren aber schwierig sind, kamen die Referenten zum Thema DDR nun selbst in die Edertalschule. "Das ist in der aktuellen Situation eine gute Sache", sagt Geschichts-Fachvorsteher Burkhard Wick. (mjx)
Workshop zum Thema DDR: Bei der Schulveranstaltung für die Schüler der Klasse 13 studierten (von links) Lukas Barwig, Lukas Schäfer, Laurenz Michel, Ben Heck und Lea Hannatschek auch original Jugendzeitschriften aus der DDR. Foto: mjx