Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Geschichte von Frau Neumark hatten am vergangenen Montag die seltene Gelegenheit, Gerhard Wiese, einen der Ankläger der sogenannten Auschwitzprozesse zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen, im Landgrafenhaus der Universität Marburg im Zeitzeugengespräch zu hören. Sie schildern hier ihre Eindrücke:
Sie haben das an der Uni Marburg ausgerichtete Zeitzeugengespräch zu den Auschwitzprozessen besucht. Können Sie kurz beschreiben, wie die Veranstaltung ablief.
Annika: Die Veranstaltung wurde über das ICWC (Internationales Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse) und die Marburger Uni organisiert und von der geschäftsführenden Direktorin des ICWC moderiert. Nach einer ausführlichen Begrüßung folgten Grußworte u.a. vom Oberbürgermeister der Stadt Marburg, bevor das Leben des Zeitzeugen vorgestellt wurde. Darauf folgte ein Interview mit Gerhard Wiese und zum Schluss konnten noch einige Fragen aus dem Publikum beantwortet werden.
Was haben Sie über Gerhard Wiese, den Redner, erfahren?
Annika: Gerhard Wiese studierte nach seiner Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion Jura in Berlin und Frankfurt und arbeitete ab 1962 an den Auschwitzprozessen mit. Er schrieb Anklagen für Wilhelm Boger und Oswald Kaduk, die laut seinen Angaben zwei der schlimmsten Täter waren.
Was hat Sie am meisten beeindruckt und / oder berührt?
Emilia: Am meisten beeindruckt hat mich, wie klar Gerhard Wiese von dem Erlebten erzählen konnte, obwohl es schon so viele Jahre her ist und vor allem auch, wie detailreich er sich an die Geschehnisse erinnerte.
Mira: Am berührendsten fand ich, mit wieviel Leidenschaft und Humor Herr Wiese erzählt hat und dass er auch mit 95 Jahren noch so gern an Schulen und an Unis spricht und dies auch noch länger fortführen möchte, obwohl man ihm geraten hat, langsam in den Ruhestand zu gehen.
Wie würden Sie die Bedeutung der Auschwitzprozesse einschätzen?
Annika: Die Auschwitz Prozesse waren wichtig einerseits für die nachhaltige Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit, aber andererseits auch ein starkes Zeichen für andere Länder. Denn sie stießen eine bewusste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit an, die zuvor verdrängt bzw. totgeschwiegen wurde.
Mira: Ich denke, die Auschwitzprozesse sind unabhängig von ihrem Ergebnis von großer Bedeutung, da sie ein wichtiger Teil der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit sind und ohne sie ein Neustart, als neue deutsche, demokratische Gesellschaft, kaum möglich gewesen wäre.
Warum haben Sie diese Veranstaltung besucht und was nehmen Sie daraus mit?
Annika: Die Veranstaltung ist wegen der aktuell aufkommenden antisemitischen Tendenzen erschreckend aktuell und wichtig. Gerhard Wiese sieht vor allem ein Problem in dieser Entwicklung: Viele Menschen würden nicht aus der Geschichte lernen, sodass sie sich wiederholen kann.
Welche Rolle und Bedeutung messen Sie grundsätzlich Veranstaltungen zu, auf denen der Kontakt zu Zeitzeugen möglich ist?
Emilia: Ich denke, dass solche Veranstaltungen sehr wichtig sind. Die Emotionalität der Zeitzeugen gibt auch abstrakten Ereignissen, die man vorher vielleicht nicht so begreifen konnte, eine unglaubliche Tiefe. Gerade in Zeiten, in denen Rechtsextremismus wieder eine große Rolle spielt, können solche Gespräche helfen, sich die Schwere und die Gewalttätigkeit des NS-Regimes wieder vor Augen zu führen und sich daran zu erinnern, dass man sich wehren sollte, damit so etwas nicht wieder geschieht.
Annika: Ich finde diese Art der Veranstaltung sehr wichtig, da man so Geschichte hautnah erleben kann. Auch sind sie einzigartig, da es altersbedingt immer weniger Zeitzeugen gibt. Besonders die Erfahrungen dieser Menschen sind so eindrucksvoll und wichtig, dass jede und jeder einmal so eine Veranstaltung besuchen sollte, wenn die Möglichkeit besteht.