Kritisches vom Pennenspatz (HNA, 11.08.2018)
Zeitzeugen der unruhigen 1968er in Frankenberg (3): Dr. Gerd Freytag
Eine besondere Rolle in der Jugendrebellion des Jahres 1968 an der Edertalschule in Frankenberg kam der Schülerzeitung „Pennenspatz“ zu. Hatte sie bis dahin recht brav und angepasst aus Schule und weiter Welt berichtet, gab es nun deutlich kritischere Töne. In Heft Nr. 40 setzte sich im September 1968 Dieter Hammann ungewohnt heftig mit Musiklehrerin Hilde Kupfer und den Leistungen ihrer Orchester und Chöre auseinander - sie entgegnete zeitnah mit einem Pennenspatz-Flugblatt. „Treibt aktiven Friedensdienst! Verweigert den Kriegsdienst“ appellierte Joachim Keute aus der Klasse 13c am Ende eines langen Artikels. Schon im folgenden Heft antwortete ein Oberleutnant der Bundeswehr. „Wir wollten Sprachrohr für alle sein“, erinnert sich heute in Frankenberg Dr. Gerd Freytag, der damals in der Redaktion der „jugendeigenen Schülerzeitung“ (also nicht Schulzeitung) mitarbeitete.
„Der Pennenspatz war keine Randerscheinung, sondern gehörte zum Schulleben“, bemerkt der Zeitzeuge. „Die Schülerzeitung war für uns auch ein Lernprozess, wie man publiziert, Nachrichten an den Mann bringt.“ Heißes schulinternes Thema an dem Frankenberger Gymnasium war 1968 die Forderung der Oberstufenschüler nach einer „Raucherecke“. Der Pennenspatz übernahm dazu eine Schüler- und Lehrerbefragung und stellte fest, dass damals 39 Prozent der Jugendlichen dieser Altersgruppe rauchten, „71 Prozent auf der Toilette“. Von den Schülern sprachen sich 70 Prozent, von den Lehrern sogar 92 Prozent für eine Raucherecke „mit Einschränkungen“ aus, darunter auch Oberstudiendirektor Heinz Heye. Gerd Freytag, 1951 in Frankenberg geboren, legte 1971 an der Edertalschule sein Abitur ab. Er leistete bis 1972 vor dem Medizinstudium in Hamburg seinen Wehrersatzdienst ab und engagierte sich zeitweilig in der Deutschen Friedensgesellschaft. „Es waren Jahre der Unruhe, aber auch einer gewissen Freiheit, voller Bewegung und Dynamik, angetrieben von Idealen“, berichtet der jetzt in den Ruhestand getretene Arzt. Ab 1970 sei alles bereits „wesentlich steifer“ geworden. Die außerparlamentarische Opposition (APO) habe ab 1969 schon keine Rolle mehr gespielt. „Es blieben die doktrinären oder in der RAF total radikalisierten Leute zurück.“ Als sich 1967 Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP) als neue hessische Kultus-Staatssekretärin in Frankenberg vorstellte, mischten Gerd Freytag und Mitschüler bei der Veranstaltung kräftig mit. Im Mai 1968 demonstrierten 400 Schüler in Wiesbaden für eine Reform der Schulen und mehr Mitbestimmung. Mit Erfolg: Im Juli 1969 legte die liberale Hamm-Brücher ein neues hessisches Schulverwaltungsgesetz vor, das eine eigenverantwortliche „Schülervertretung“ (SV) und Mitbestimmungsrechte etablierte. „Partizipation“ war ihr Zauberwort.