Sie kämpfen für ihre Erde (HNA, 10.05.2019)
Theater-AG wurde bei Premiere für „Sandra K. Ein Prozess“ bejubelt
Die Uhr unter dem Richterstuhl läuft gnadenlos rückwärts. „Wer hat schon die Lust, der nackten Wahrheit ins Gesicht zu sehen?“, fragt die Umweltaktivistin aus dem Hambacher Forst, Sandra K., der hier gerade der Prozess gemacht wird. Ein Fußballfeld als Gerichtssaal, Foulspiel vor prolligen Fans, eilig rekrutierte Touri-Geschworene auf schwankender Justitia-Waage, Begegnungen mit historischen Ikonen der Wahrheitssuche wie Galileo Galilei oder Sophie Scholl. Über allem ein Richter mit Pfeife – die Theater-AG des Frankenberger Gymnasiums Edertalschule widmet sich in ihrem neuesten Stück „Sandra K. Ein Prozess“ dem großen Thema Klimawandel und Zukunft der Erde, und dafür können ihre Zeigegesten gar nicht groß genug, ihre Bilder kaum noch eindringlicher sein. In jeder Spielminute ist zu spüren: Diese jungen Theaterleute verhandeln hier ihre Zukunft, ihre ganz eigene Erde, und das mit all ihren Begabungen und wohl durchdachten Appellformen so spektakulär, zugleich beklemmend und berührend, dass es nach dem Abpfiff vom Premierenpublikum am „Spielfeldrand“ jubelnden, stehenden Beifall gibt.
Ja, die Mitglieder der Theater-AG hatten sich mit den Kassandras, den ungeliebten Seherinnen der Vergangenheit und Gegenwart, eindringlich auseinandergesetzt, ihr Thema für ihr eigenes, neues Stück entwickelt, noch ehe in Schweden Greta Thunberg auf die Straße ging und eine Weltbewegung in Gang setzte. Vorhersagen des Weltklimarates, das Schmelzen der Polkappen, zunehmende Dürren, Artensterben und Kämpfe um Ressourcen, aber auch Bequemlichkeit und Angst vor Wohlstandsverlust thematisierten sie intensiv und entwickelten daraus ein fesselndes, zweistündiges Prozessgeschehen, in dem immer wieder auf klassische Vorbilder, auf Theater von Kafka und Brecht zurückgegriffen wird, faktenschwer und doch voller ironischer Brechungen. Beide Räume, Gerichtssaal und Fußballfeld, verschmelzen in dieser Inszenierung der Theater-AG mit großer Simultanität zu einer Erlebnislandschaft, in der die Funktion des Chors im antiken Theater aufgegriffen, aber auch filmische Elemente wie Zeitlupe, Sport-Reportagen und surreale Konstellationen, außerdem alle Spielarten der Musik höchst wirkungsvoll eingesetzt werden. Am linken Bühnenrand wächst minütlich ein Müllberg. Zitate aus der Gegenwart rücken bedrohlich nah, etwa wenn der Richter mit Freisler-Stimme die junge Widerstandskämpferin Sophie Scholl „nur einen Vogelschiss in der deutschen Geschichte“ nennt. Folter durch Waterboarding, Verfolgung der Whistleblower – die Wahrheit hat viele Feinde. Die zweite Spielhälfte fesselt besonders eindrucksvoll durch die Plädoyers der Staatsanwältin und Verteidigerin, außerdem durch berührende Monologe oder musische Inszenierungen wie den „Earth Song“. Der begeisterte Applaus am Ende galt großartigen Einzel- und Ensembleleistungen, dem Stab von Technikern und Helfern sowie den Spielleitern Thorsten Jech und Daniel Herbrich
Bei „Sandra K. Der Prozess“ wirken diese Darsteller mit, wobei sich die Hauptdarstellerinnen in einzelnen Vorstellungen abwechseln:
Sandra K., Aktivistin: Paula Krupke/Lisa-Marie Paar; Richter, ein Schiedsrichter: Bennet Gabriel; Staatsanwältin, Linienrichterin: Cosima Soufi; Verteidigerin, Linienrichterin: Karin Korkutata/Victoria Wittig; Geschworene, eine Reisegruppe: Jessica Burghof, Leila Laetitia Hafner, Janne Kesper, Karin Korkutata, Marie Möller, Jenny Müller, Mathilda Müller, Greta Pasler, Hiba Saadoun, Emma Schwab, Seema Tahan, Anne Wihl und Victoria Wittig; Gerichtsdiener: Rune Schütze; Gerichtsreporter: Thorjan Greese; Pussy Riot, Musikerinnen: Marlene Enders, Alessa Hallmann, Charlotte Laukel und Cinja Röhle. Es spielen das Kind/die junge Sandra K.: Lea Sophie Cuenca Garcia; Eltern von Sandra K.: Alessa Hallmann und Ole Sam Fischer; Sophie Scholl: Lisa-Marie Paar/Paula Krupke; Galileo Galilei: Paula Reinhardt; Edward Snowden: Laura Becker; Professor Hayek, Zeuge der Anklage: Noa Bossert/Nimué Wocadlo; Greta Thunberg, Zeugin der Verteidigung: Emily Andereya/Charlotte Wahl; Volk, Fans: Emily Andereya, Laura Becker, Noa Bossert, Lea Sophie Cuenca Garcia, Paula Krupke, Lisa-Marie Paar, Paula Reinhardt, Charlotte Wahl und Nimué Wocadlo; Schülerin: Leila Laetitia Hafner sowie Randfigur, Unbeteiligter: Aron Eckes. In der Technik wirken mit: Johannes Doss, Aron Eckes, Ole Sam Fischer, Nils Humeny, Maik Jonietz, Jan-Philipp Lay, Fabienné Lehmann, Fahri Mazrek, Lea-Jasmin Riehl und Henning Schneider. Rat und Tat: Michael Langendörfer. Die Spielleitung haben Daniel Herbrich und Thorsten Jech. zve
Weitere Fotos auf https://zu.hna.de/Theater-AG